Biden kommt nicht

Biden kommt nicht: Das besondere Verhältnis zu den USA

US-Präsident Barack Obama im Juni 2013
In Berlin wurde der damalige US-Präsident Barack Obama im Juni 2013 vor dem Brandenburger Tor von denBerlinern gefeiert wie ein Popstar.
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Berlin. Die Zeiten, als die USA noch als Garanten der Demokratie in der Frontstadt galten, sind lange vorbei. Das sind 2024 die Meinungen in Berlin.

Der 29. Juni 1952 war in Berlin ein heißer Tag.
Die Bühne war bereitet für einen großen Moment in der jüngeren Geschichte einer Stadt, die überall noch Spuren des Zweiten Weltkriegs zeigte.
In Kreuzberg hatten sich der Hohe Kommissar der US-Regierung und Militärgouverneur in Deutschland John McCloy,
US-Außenminister Dean Acheson sowie der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter eingefunden. Gemeinsam legten sie am Halleschen Tor den Grundstein für die Amerika-Gedenkbibliothek. Acheson sprach in seiner Rede von liberaler Gesellschaftsordnung, von Freiheit und Demokratie als verbindende Elemente zwischen Berlinern und US-Amerikanern. 72 Jahre später heißt der Bau in der inzwischen vereinten Hauptstadt umgangssprachlich verkürzt nur noch „AGB“, ist die Institution eher Problemfall mit Umzugsambitionen in die leerstehenden Kaufhäuser von Mitte. Und doch ist das Haus mit dem „Amerika“ im Namen eines der wenigen verbliebenen Symbole der US-Präsenz in Berlin. Anlässlich des bis Dienstagnachmittag noch vorgesehenen Staatsbesuchs von Präsidenten Joe Biden in Berlin und Deutschland stellte sich die Frage, wie viel Verbundenheit die Stadt mit der einstigen Schutzmacht noch empfindet.
Andreas Weigelt, Präsident des American Business Clubs Berlin, sagt, er sehe mit Bedauern, dass die emotionale Bindung der Berliner zu den USA sinke, besonders seit den Nachwendejahren. Das sei gewiss auch eine Generationenfrage: „Als ich jung war, haben uns die Amerikaner die Demokratie gelehrt“, sagt er.

US-Präsidenten: Das besondere Verhältnis Berlins zu den USA

Seine erste Begegnung mit den Menschen erlebte er in den Siebzigerjahren. Nachdem er in der baden-württembergischen Heimat an einem Schülerwettbewerb zum 200. Gründungsjahr der Vereinigten Staaten 1977 teilgenommen hatte, durfte er erstmals New York besuchen, später lebte er dort lange. Vom Naturell her – auch das ein verbindendes Element zu Berlin– seien die Ähnlichkeiten der Großstädter dort zu den Berlinern schon sehr auffällig. „Rau, laut, unhöflich“, sagt Weigelt. „Aber wenn man ihre Schale erst geknackt hat, können sie zu besten Freunden werden.“

Andreas Weigelt
Andreas Weigelt, Präsident des American Business Clubs Berlin.
© BM | bm

Mit dem Fall der Mauer habe sich neuer antiamerikanischer Geist in ganz Berlin ausgebreitet. Der Club-Präsident macht das an kleinen eigenen Erlebnissen fest. Als Betreiber eines Theaters etwa habe nach 1989 bei ihm ein Ensemble aus der
ehemaligen DDR gastiert. „Die attackierten irgendwann eine amerikanische Freundin von mir: Ihre USA habe erst das Ende der DDR verschuldet, warfen sie ihr vor“, sagt Weigelt.

Persönliche Erinnerungen an die Vereinigten Staaten

Hatte ihn einst das US-amerikanische Freiheitsideal für das Land eingenommen, beunruhigen den Club-Präsidenten nunmehr „antidemokratische Tendenzen in Amerika“. Die Trump-Präsidentschaft und der aktuelle Wahlkampf des Kandidaten hätten bei vielen in der Stadt die Begeisterung für die Vereinigten Staaten gedämpft. Bundespolitisch schlägt das BSW Funken aus einer stellenweise ablehnenden Position der Deutschen gegenüber der USA. Die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag, Sevim Dagdelen, warnte gegenüber der Berliner Morgenpost vor einer möglichen Unterstützung eines ukrainischen
„Weltkriegsplans“ durch Präsident Biden sowie einer drohenden „direkten NATO-Kriegsbeteiligung“.

Indes lebt gerade bei West-Berlinern aus den Kriegs- und Nachkriegsgenerationen die tiefe Verbundenheit zu den USA fort.
Große Erinnerungsanlässe in Berlin sind da stets von Rührung und Dankbarkeit geprägtEtwa die Feierlichkeiten zum
Doppeljubiläum von 75 Jahren Luftbrücke und 60 Jahren Kennedy-Rede im Sommer vergangenen Jahres mit vielen Berliner Zeitzeugen vor dem Schöneberger Rathaus.

Das Verhältnis zu den USA wandelte sich sichtlich

Eine jüngere Generation machte Berlin seit den 60er-Jahren zunehmend zum Schauplatz antiamerikanischer Proteste. Bei der ersten Demonstration vor dem US-Kulturzentrum Amerika-Haus an der Charlottenburger Hardenbergstraße war 1966 zunächst eine Fahne Ziel der Studenten. Zudem, so Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ damals, bewarfen sie die Fassade „mit Eiern niedrigster Preisklasse“. Die Proteste in der Frontstadt verschärften sich in den kommenden Jahren rasant. In seiner extremsten Ausprägung mündete das Anti-US-Sentiment in die Gründung der Rote Armee Fraktion und einem deutschen Terrorismus, der die gesamte Bundesrepublik erschüttern sollte.
Inzwischen ist das Amerika-Haus zur angesagten Galerie C/O Berlin geworden. Am Platz des 4. Juli in Lichterfelde, wo einst Soldaten der US-Army exerzierten und 1994 US-Präsident Bill Clinton mit Bundeskanzler Helmut Kohl zum Ende der amerikanischen Militärpräsenz in der Stadt die letzte Parade der US-Streitkräfte abnahmen, wohnt man heute in teuren Eigentumswohnungen. Kommt im Alltag das Gespräch auf den Platz der Luftbrücke in Tempelhof, geht es meist nicht um das eigenwillige Denkmal und seinen stadthistorisch bedeutsamen Hintergrund, sondern um Dauerbaustelle, Mehringdamm-Stau und einen neuen BVG-Aufzug. Und auf dem Charlottenburger Teufelsberg, wo USA und Großbritannien während des Kalten Krieges
den Funkontakt der Warschauer-Pakt-Staaten belauschten, tanzen wochenends junge Menschen auf exklusiven Open-Air-Partys.

Erinnerungen an die Zeit in West-Berlin

In den 80er-Jahren wurde das Areal noch bewacht. Im Dienstgrad eines Corporals beim 6941st Guard Battalion Berlin stand damals dort oft Michael Bolien, Jahrgang 1960. Schon als Jugendlicher in Neukölln habe ihm die Präsenz der US-Alliierten ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. „Im amerikanischen Sektor fühlte ich mich gut aufgehoben.“ Man sei an den Rand des Flughafens Tempelhof gefahren, habe durch den Zaun passierenden Army-Jeeps hinterhergeschaut, Marlboro-Zigarretten geraucht. „Es war ein Hauch von Freiheit, der Duft der großen freien Welt“,sagt Bolien.
„In West-Berlin war der Vier-Mächte-Status spürbar, man wurde nicht gegängelt, wie zum Beispiel mein Onkel in Ost-Berlin. Er fürchtete ständig, wegen seiner vorlauten Bemerkungen inhaftiert zu werden.“ Viele Jahrzehnte später wisse man natürlich besser über vergangene und aktuelle politische Fehler der USA Bescheid. Nach einer Veränderung im Verhältnis von Berlinern und den Amerikanern gefragt, antwortet der ehemalige Corporal, man müsse zwischen dem politischem sowie militärischem Handeln der USA unterscheiden und den Menschen dort. „Damals jedenfalls war es für uns klar:
Die Sowjetunion waren die Bösen, die USA die Guten.“

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