Die Demokratie verteidigen – Amy Gutmann
Germany
U.S. EMBASSY AND CONSULATES
Amerika-Dienst-Newsletter vom 14. April 2022
USA – DEUTSCHLAND
Am 13. April 2022 hielt US-Botschafterin Amy Gutmann in der American Academy in Berlin eine Rede zur Verteidigung unserer gemeinsamen Werte.
Es gilt das gesprochene Wort.
Daniel Benjamin, vielen Dank für die Einladung in die American Academy. Ich freue mich auf die großartige Zusammenarbeit mit Ihnen und der Akademie als Partnerin der Botschaft.
Michael Abramowitz, uns verbindet eine lebenslange Leidenschaft für die Verteidigung demokratischer Werte und Gepflogenheiten, und ich kann Ihnen nicht genug für alles danken, das Sie und Freedom House in dieser Hinsicht leisten.
In Zeiten wie diesen müssen wir uns bewusst machen, wie glücklich wir uns schätzen können, in einer Demokratie zu leben. In Zeiten wie diesen sollte niemand dieses Glück für selbstverständlich halten, weder im eigenen Land noch in anderen Ländern. In Zeiten wie diesen müssen wir zeigen, wieviel wir für Freiheit, Chancen und die Achtung der Würde aller Menschen zu tun bereit sind.
Die Demokratie wird in der Ukraine brutal angegriffen. Eine blühende Zivilgesellschaft, die wichtigen Reformen seit der Maidan-Revolution und die lebendige Medienlandschaft zeugen vom großen Potenzial der Ukraine als offene, pluralistische Demokratie. Die Welt sieht, dass die Ukraine für die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes einsteht. Dieses starke Bekenntnis steht in absolutem Gegensatz zu dem autoritären politischen System, das Präsident Putin den Russinnen und Russen jeden Tag erneut aufzwingt, indem er Demonstrierende einsperrt, Journalistinnen und Journalisten unterdrückt und seine völlige Missachtung der Menschenrechte demonstriert, sowohl im eigenen Land als auch im Ausland.
Das brutale Massaker an den Ukrainerinnen und Ukrainern führt uns tagtäglich vor Augen, wie wichtig es ist, sich für die Ukraine einzusetzen. Wie wichtig es ist, dass unsere Länder die Ukraine in ihrem Widerstand gegen eine weitere russische Invasion entschlossen unterstützen.
Die Demokratie steht überall auf der Welt unter Beschuss. In autoritären Ländern werden die Freiheitsrechte der Bevölkerung eingeschränkt, politische Gegnerinnen und Gegner mit zunehmender Brutalität unterdrückt und Wahlen werden verschoben oder finden gar nicht erst statt. Autoritäre Regierungen arbeiten außerdem aktiv darauf hin, Demokratien zu spalten und Misstrauen zu säen. Wir müssen erkennen, dass unsere eigene Freiheit, unsere Sicherheit und unser Wohlstand bedroht sind – durch Putins Aggression, durch ein feindlich gesinntes China, das schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, Cyberangriffe verübt und die Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt, sowie durch andere unredliche Akteure und Vorgehensweisen. Wir müssen uns über diese weltweite Krise im Klaren sein und sie gemeinsam entschlossen meistern.
Selbst in demokratischen Ländern werden die historischen Fortschritte, die in Bezug auf Toleranz, Respekt und Verständnis füreinander über Trennlinien hinweg erzielt wurden, seit Jahrzehnten massiv untergraben. Diese Entwicklung wurde in den letzten zehn Jahren durch Desinformation, politische Polarisierung und abgeschottete Social-Media-Blasen noch verschärft. Allein in den letzten Jahren haben wir in den Vereinigten Staaten und in weiten Teilen Europas einen beunruhigenden Zuwachs an Antisemitismus, Rassismus und Hassverbrechen erlebt. Verstärkt wird dieser Hass noch dadurch, wie politische Gegnerinnen und Gegner in demokratischen Ländern miteinander umgehen: Statt sich als Konkurrentinnen und Konkurrenten zu sehen, die sich energisch darüber auseinandersetzen, wie man gemeinsame demokratische Ziele am besten erreicht, behandeln sie sich wie Todfeinde.
Die seit Langem bestehende wirtschaftliche, religiöse, ethnische, geschlechtsspezifische und die sexuelle Identität betreffende Ungleichbehandlung hat bei vielen das Gefühl hinterlassen, dass das demokratische System für sie niemals funktionieren wird. Unsere Zusammenarbeit zur Überwindung dieser Hindernisse für Leben, Freiheit und grundlegende Chancen könnte wichtiger nicht sein.
Präsident Biden hat erkannt, dass die Verteidigung der Demokratie die entscheidende Herausforderung unserer Zeit ist. Die Verteidigung der Demokratie ist eines der drei Hauptziele, an denen sich die diplomatische Arbeit unserer Botschaft und unserer Konsulate in Zukunft orientieren wird. Die Verteidigung der Demokratie geht Hand in Hand mit unseren beiden anderen Zielen: unsere Bündnisse voranzubringen und Innovation inklusiv zu gestalten. Unsere transatlantische Partnerschaft war noch nie so geeint, stark und wichtig wie heute. Gemeinsam werden wir bei der Verteidigung von Demokratien im In- und Ausland Historisches bewirken.
Inwiefern? Indem wir unsere Werte sowohl zu Hause als auch weltweit besser verteidigen. Indem wir unsere Bündnisse und Partnerschaften, die die Welt für alle Menschen sicherer gemacht haben, mit neuem Leben erfüllen. Indem wir unsere militärischen Fähigkeiten modernisieren und gleichzeitig im Rahmen unserer diplomatischen Bestrebungen Führungsstärke beweisen.
Im vergangenen Dezember war Präsident Biden Gastgeber eines virtuellen Demokratiegipfels, der Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt der US-Außenpolitik stellte. Er forderte die Vertreterinnen und Vertreter von etwa 100 Staaten heraus: „Werden wir zulassen, dass der Verfall von Rechten und Demokratie ungebremst weitergeht?“
Auf dem Forum wurde die potenzielle Stärke von Partnerschaften hervorgehoben. Wenn kommunale und nationale Regierungen, zivilgesellschaftliche und wohltätige Organisationen sowie der Privatsektor zusammenarbeiten, können wir die Herausforderungen, vor denen Demokratien stehen, am effektivsten angehen. Wenn Staaten die Stärken der Zivilgesellschaft und des Privatsektors nutzen, können sie gemeinsam innovative und wirksame Initiativen zur Bewältigung zentraler Themen entwickeln.
Demokratien können starke und integrative Volkswirtschaften fördern, politische Meinungsverschiedenheiten ohne Blutvergießen austragen, die öffentliche Sicherheit gewährleisten und gleichzeitig bürgerliche Freiheiten schützen, Korruption bekämpfen und mit freien Wahlen und friedlichen Machtübergaben für Stabilität sorgen. Wenn in diesen Bereichen Fortschritte erzielt werden, wirkt das weltweit als positiver Multiplikator.
Dieses Jahr ist ein Jahr des Handelns, in dem Zusagen in echten Wandel umgesetzt werden. Die Maßnahmen, zu deren Umsetzung sich Deutschland und die Vereinigten Staaten auf dem Demokratiegipfel verpflichtet haben, ergänzen sich gegenseitig. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie können wir als G7 – deren Vorsitz Deutschland in diesem Jahr hat –, unsere Demokratien angesichts zunehmender autoritärer Entwicklungen wappnen?
Bei der Beantwortung dieser entscheidenden Frage unserer Zeit wäre es zweifellos wünschenswert, sich mit starken Institutionen wie der American Academy und Freedom House abzustimmen.
Ich habe eingangs gesagt, wie glücklich wir uns schätzen können, in demokratischen Gesellschaften zu leben. Warum also beschäftige ich mich tagtäglich mit den großen Bedrohungen, denen wir uns gegenübersehen? Wie meine Eltern bin auch ich stolz darauf, Jüdin zu sein. Mein Vater wuchs in einer Demokratie auf, in der Weimarer Republik. Nachdem Hitler und die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, sah sich mein Vater 1934 schließlich gezwungen, aus Deutschland zu fliehen.
Die Nazis waren an der Macht. Lange bevor Russland weiter in die Ukraine einmarschierte, hat mich die Erfahrung meines Vaters gelehrt, wie wichtig es ist, sich mit so vielen Verbündeten wie möglich jeder Form von Hass, Fanatismus und Diskriminierung entgegenzustellen.
Vor dreißig Jahren habe ich ein Buch über demokratische Bildung (Democratic Education) geschrieben. Ich vertrat darin die Ansicht, dass wir jungen Menschen nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen müssen, sondern auch die Fähigkeit, für ihre Werte einzutreten, zivilisiert mit anderen zu streiten und tolerant zu sein was Unterschiede in Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Fähigkeiten angeht.
Vor Kurzem wurde ich gefragt, was ich dem Buch heute hinzufügen würde: Ich würde mich mehr auf den Schutz vor Gruppendenken und Mobbing konzentrieren. Ich würde hervorheben, wie entscheidend die Richtigkeit von Aussagen und die Überprüfung von Sachverhalten ist, damit sich rasant im Internet verbreitende Falschdarstellungen nicht einprägen können. Ich würde nach Möglichkeiten suchen, um den Zugang zu verantwortungsvoll handelnden Nachrichtenportalen zu verbessern. Fake News, Desinformation und Propaganda stellen schon lange eine tödliche Bedrohung für Demokratien dar. Weil sich Fake News so schnell im Internet verbreiten, ist es noch wichtiger geworden, schnell dagegen vorzugehen. Ein Beispiel dafür ist
die Art und Weise, wie Russland die Berichte über die Gräueltaten in Butscha verfälscht hat. Und Russlands Unterdrückung der Medien sowie von Journalistinnen und Journalisten, die es wagen, den Machthabenden die Wahrheit zu sagen. Wir müssen verantwortungsvoll handelnde Nachrichtenportale unterstützen. Wir müssen dazu beitragen, dass sie öffentlich zugänglich sind. Sie ermöglichen eine breitere demokratische Teilhabe.
Zusammengefasst sage ich, dass wir uns glücklich schätzen können, in demokratischen Gesellschaften zu leben. Warum? Weil sich Demokratien in ihrem Kern der Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung, Toleranz und Achtung der Menschenwürde, fundierten, aber vernünftigen Debatten und Kompromissen verschrieben haben, die für alle Seiten vorteilhaft sind. Weil private Einrichtungen wie die American Academy in Berlin und Freedom House diese demokratischen Werte in selbstbestimmter Partnerschaft mit staatlichen Einrichtungen wie der US-Botschaft engagiert und aus freien Stücken verteidigen. Weil die Verteidigung der Demokratie nicht nur Schwerstarbeit ist, sondern auch eine wichtige und inspirierende Arbeit. Warum? Präsident Biden begründet es so: „Demokratie entsteht nicht zufällig.“
Originaltext: Defending Democracy
US-POLITIK
Ketanji Brown Jackson wird erste Schwarze Richterin am Supreme Court
In diesem Artikel vom 7. April 2022 stellt Leigh Hartmann, Autor bei ShareAmerica, einer Website des US-Außenministeriums, Ketanji Brown Jackson vor, die neue Richterin am obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten.
Als frühere Pflichtverteidigerin auf Bundesebene und erfolgreiche Anwältin bringt Richterin Ketanji Brown Jackson einen umfassenden Erfahrungsschatz mit an den Supreme Court.
Nach ihrer juristischen Ausbildung in Harvard vertrat Jackson als Pflichtverteidigerin Mandanten, die sich keinen Anwalt leisten konnten.
Später war sie Mitglied der United States Sentencing Commission, die Änderungen der Strafbemessung an Bundesgerichten festlegt, sowie Richterin am Berufungsgericht für den Gerichtsbezirk Washington, D.C.
Als Präsident Biden sie am 25. Februar nominierte, beschrieb er sie als eine Juristin, die „in ihrem Denken wirklich unabhängig sowie konsequent integer ist, über einen starken moralischen Kompass verfügt und den Mut hat für das einzustehen, was sie für richtig hält“. Der US-Senat bestätigte ihre Nominierung am 7. April. Sie wird die erste Schwarze Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten sein, der dann mit vier Richterinnen und fünf Richtern besetzt sein wird.
Jackson wurde in Washington geboren und wuchs in Miami in einer Familie auf, die dem Staatsdienst eng verbunden war. Ihre Eltern unterrichteten an öffentlichen Schulen, ihr Bruder und zwei ihrer Onkel waren bei der Polizei. Einer der Onkel war Polizeichef in Miami.
Jackson interessierte sich schon früh für Recht. Als sie noch ein Kind war, entschied ihr Vater, der ja Lehrer war, Anwalt zu werden. Sie machten gemeinsam Hausaufgaben: sie in ihren Malbüchern für die Vorschule, er für sein Jurastudium.
„Zu meinen ersten Erinnerungen gehört die an meinen Vater, der am Küchentisch seine Rechtsliteratur liest“, sagte sie bei ihrer Dankesrede nach der Nominierung durch Präsident Biden im Weißen Haus. „Ich habe ihn beim Lernen beobachtet, und er wurde mein erstes berufliches Vorbild.“
Präsident Obama berief Jackson 2009 in die Sentencing Commission. Als stellvertretende Vorsitzende der Kommission konzentrierte sie sich darauf, gerechte Strafbemessungen auf Bundesebene zu etablieren und unbegründete Unterschiede im Strafmaß zu reduzieren.
Bevor sie für den Supreme Court nominiert wurde, war Jackson Richterin am Bezirksgericht des District of Columbia und am Berufungsgericht für den
Gerichtsbezirk Washington, D.C., also eine Ebene unter dem obersten Gerichtshof.
Mit ihrer Arbeit in der Sentencing Commission trat Jackson in die Fußstapfen Stephen Breyers, der derzeit ebenfalls Richter am Supreme Court ist. Sie arbeitete nach ihrem Studium für ihn und wird sein Richteramt am Supreme Court übernehmen, wenn er zum Ende des Sitzungsjahres 2021/2022 in Rente geht.
In seiner Rede zu Jacksons Nominierung sagte Präsident Biden, dass die Ernennung der ersten Schwarzen Frau für den Supreme Court jungen Menschen zeigen wird, dass sie alles erreichen können.
„Zu lange sahen unsere Regierung und unsere Gerichte überhaupt nicht aus wie Amerika“, sagte er. „Und ich glaube, es ist Zeit, dass ein Gericht mit einer außerordentlich qualifizierten Nominierten das ganze Talent und die ganze Größe unserer Nation widerspiegelt. So können wir alle jungen Menschen dazu inspirieren, daran zu glauben, dass sie ihrem Land eines Tages auf höchster Ebene dienen können.
Originaltext: Ketanji Brown Jackson: The next Supreme Court justice
DEMOKRATIE/MENSCHENRECHTE
Länderberichte über Menschenrechtspraktiken 2021
Bundesrepublik Deutschland
Das Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen des US-Außenministeriums gibt jedes Jahr den Bericht über Menschenrechtspraktiken heraus. Der Bericht für das Jahr 2021 wurde am 12. April 2022 veröffentlicht. Wir haben den Deutschlandteil übersetzt.
ZUSAMMENFASSUNG
Deutschland ist eine Verfassungsdemokratie. Die Staatsbürger wählen ihre politischen Vertreter regelmäßig in freien und fairen Mehrparteienwahlen. Der Bundestag, die erste gesetzgebende Kammer, wählt den Regierungschef, den Bundeskanzler.
Die zweite gesetzgebende Körperschaft ist der Bundesrat, der die 16 Bundesländer auf Bundesebene vertritt und aus Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierungen zusammengesetzt ist.
Die 16 Bundesländer verfügen über beträchtliche Unabhängigkeit, auch in den Bereichen Strafverfolgung und Bildung.
Die Bundestagswahlen am 26. September wurden ebenso wie die Wahlen im Jahr 2017 als frei und fair beurteilt.
Die Zuständigkeit für die innere Sicherheit und den Grenzschutz liegt bei der Polizei der 16 Bundesländer, dem Bundeskriminalamt sowie der Bundespolizei. Die Landespolizei ist dem Innenministerium des jeweiligen Bundeslandes, die Bundespolizei dem Bundesministerium des Innern unterstellt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz sind neben anderen Sicherheitsaufgaben für die nachrichtendienstliche Aufklärung über Gefahren für die öffentliche Ordnung im Inland zuständig.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern und die Landesämter für Verfassungsschutz sind den jeweiligen Innenministerien der Länder unterstellt. Zivile Behörden
hatten weiterhin die effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab glaubhafte Berichte über einige wenige Rechtsverstöße durch Angehörige der Sicherheitskräfte.
Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen waren unter anderem: antisemitisch motivierte Straftaten sowie islam- und fremdenfeindlich oder durch andere Formen von Rechtsextremismus motivierte Gewalt gegen Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten.
Die Behörden haben Maßnahmen zur Ermittlung gegen und zur strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung von Beamtinnen und Beamten sowie Angestellten der Sicherheitsdienste und anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes ergriffen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben oder der Korruption beschuldigt wurden.
Abschnitt 1. Achtung der Unversehrtheit der Person
- WILLKÜRLICHE UND ANDERE UNRECHTMÄSSIGE ODER POLITISCH MOTIVIERTE TÖTUNGEN
Es gab keine Berichte über willkürliche oder rechtswidrige Tötungen durch den Staat oder seine Vertreterinnen und Vertreter.
Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den Neonazi Stephan Ernst am 28. Januar wegen Mordes an dem hessischen Kommunalpolitiker Walter Lübcke im Jahr 2019 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, sprach den Mitangeklagten Markus Hartmann jedoch vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord frei. Die Straftat wurde weithin als politisch motivierte Tötung eines bekannten flüchtlingsfreundlichen Vertreters einer Landesregierung angesehen, und die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass Ernst die Tat aus ethnonationalistischen und rassistischen Motiven heraus beging.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte weiter gegen mehrere Personen, die Lübcke nach seinen flüchtlingsfreundlichen Bemerkungen 2015 über das Internet bedroht hatten. Einige der noch offenen Ermittlungen wurden je nach Wohnort der Beschuldigten an die Staatsanwaltschaften
anderer Bundesländer übergeben. Eine Untersuchung des hessischen Landtags zu der Frage, warum der hessische Verfassungsschutz Stephan Ernst nicht als Gefahr für die Gesellschaft eingestuft hat, dauerte im September noch an.
- VERSCHWINDEN
Es lagen keine Berichte über das Verschwindenlassen von Personen im Auftrag des Staates oder durch staatliche Behörden vor.
- FOLTER UND ANDERE GRAUSAME, UNMENSCHLICHE ODER ENTWÜRIDGENDE BEHANDLUNG ODER BESTRAFUNG
Das Grundgesetz und andere Gesetzesvorschriften verbieten derartige Praktiken, es gab allerdings einige wenige Berichte, wonach Staatsbedienstete sie einsetzten. Einigen Menschenrechtsorganisationen zufolge gingen die Behörden Vorwürfen der Misshandlung durch Polizeikräfte nicht effektiv nach und wendeten kein unabhängiges Verfahren zur Prüfung derartiger Anschuldigungen an.
Im Juni verurteilte ein Gericht einen Mülheimer Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Dienst zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Der Beamte hatte 2019 bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt einem aus dem Kosovo stammenden, in Deutschland eingebürgerten Mann Handschellen angelegt und ihm ins Gesicht geschlagen. Die Kollegin des Beamten half, den Übergriff zu vertuschen und wurde zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.
Am 17. September befand ein Kölner Gericht einen Polizeibeamten der Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt gegen einen flüchtenden Verdächtigen für schuldig und verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten. Der Polizist schoss 2019 auf den 19-jährigen, unbewaffneten Alexander Dellis, als dieser sich der Festnahme zu entziehen versuchte. Dellis erstattete später Anzeige wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung. Das
Gericht urteilte, der Polizeibeamte habe den Verdächtigen nicht ausreichend gewarnt.
Ungeahndete Straftaten bei den Sicherheitskräften stellen kein wesentliches Problem dar.
Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten
Es gab keine maßgeblichen Berichte über Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten, die menschenrechtlich bedenklich wären.
Materielle Haftbedingungen: Es gab es keine wesentlichen Bedenken hinsichtlich der physischen Haftbedingungen oder Hinweise auf die Misshandlung von Insassen.
Im Dezember 2020 verhungerte ein 67-jähriger Gefängnisinsasse in einer Einrichtung in Aachen. Ein Gericht hatte bei dem Häftling zuvor eine depressive Störung festgestellt. Das Gefängnispersonal hatte ihn nicht zwangsernährt und gab an, er habe die Entscheidung, nicht zu essen, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte getroffen. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen erklärte im August, dass es künftig einer schriftlichen Erklärung bedürfe, falls eine künstliche Ernährung abgelehnt wird.
Verwaltung: Die Behörden gingen glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen angemessen nach.
Unabhängige Überwachung: Die Regierung ließ Kontrollbesuche unabhängiger Beobachter zu, die Nichtregierungsorganisationen angehörten.
- WILLKÜRLICHE VERHAFTUNGEN ODER FESTNAHMEN
Das Grundgesetz verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sieht das Recht vor, die Rechtmäßigkeit einer Festnahme vor Gericht anzufechten. Der Staat hielt diese Bestimmungen im Allgemeinen ein.
Gesetze auf Länderebene ermächtigen die Polizei, bei „drohender Gefahr“ Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Kritikerinnen und Kritiker argumentierten, diese Bestimmungen räumten der Polizei Überwachungsbefugnisse ein, die eigentlich nur den Nachrichtendiensten
zustünden. Im September war eine Klage gegen das Gesetz in Bayern noch beim Bundesverfassungsgericht und eine separate Klage gegen das entsprechende Gesetz in Sachsen-Anhalt noch beim dortigen Landesverfassungsgericht anhängig.
In einigen Bundesländern gibt es zwar eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die Nichtregierungsorganisation Amnesty International Deutschland kritisierte jedoch das Fehlen einer bundesweiten Verpflichtung hierzu.
Im Februar wurde ein Mann in Köln zum dritten Mal vom Vorwurf der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte bei einer Demonstration in Köln freigesprochen. Das Gericht bestätigte die Anklage wegen Beleidigung eines Polizeibeamten, verhängte aber keine Strafe, sondern machte die Beamten selbst dafür verantwortlich. Im zweiten Verfahren im April 2019 hatte der Richter am Landgericht Köln die Klage als unbegründet abgewiesen und sich bei dem Angeklagten entschuldigt.
Gegen zwei Polizeibeamte wurde 2019 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, im Februar wurde das Verfahren gegen sie gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt. Der Mann verklagte daraufhin das Land Nordrhein-Westfalen auf 15.000 Euro Schadensersatz, dessen Zahlung das Bundesland im Juli zustimmte.
Festnahmeverfahren und Behandlung in Gewahrsam
Für Festnahmen ist ein von einer Justizbehörde ausgestellter Haftbefehl erforderlich. Die Polizei kann auch Personen festnehmen, wenn sie diese beim Verüben einer Straftat aufgreift oder wenn der dringende Verdacht vorliegt, dass die Person eine Straftat plant. Das Grundgesetz verlangt die Vorstellung von Verdächtigen bei einem Justizbeamten am Folgetag der Festnahme. Der Richter oder die Richterin muss Verdächtige über die Gründe für deren Festnahme informieren und ihnen die Möglichkeit geben, zu widersprechen. Anschließend muss das Gericht entweder einen Haftbefehl ausstellen, aus dem die Gründe für die Fortsetzung der Inhaftierung
hervorgehen, oder die Freilassung der Person anordnen. Die Behörden achteten diese Rechte im Allgemeinen.
Zwar gibt es die Möglichkeit der Kaution, in der Regel werden Personen, die auf ihr Verfahren warten, jedoch ohne Kaution frei gelassen. Eine Kaution wird nur fällig, wenn das Gericht eine Fluchtgefahr feststellt. In solchen Fällen können die Behörden die Freilassung auf Kaution verweigern und Inhaftierte für die Dauer der Ermittlungen und des anschließenden Prozesses inhaftieren, allerdings unterliegt dies der gerichtlichen Prüfung.
Festgenommene haben das Recht, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen. Bei finanzieller Bedürftigkeit stellt der Staat einen Rechtsbeistand. Laut Gesetz steht es festgenommen Personen jederzeit zu, einen Rechtsbeistand zu beauftragen, auch vor Befragung durch die Polizei. Die Behörden müssen Tatverdächtige vor der Befragung über ihr Recht in Kenntnis setzen, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.
Untersuchungshaft Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Nichtregierungsorganisation World Prison Brief lag der Anteil der Personen in Untersuchungshaft an der Zahl aller Gefängnisinsassen im Land im Dezember 2020 bei 20,8 Prozent. Das Justizministerium erklärte 2019, dass die Untersuchungshaft im Durchschnitt zwischen vier und sechs Monaten dauere. Die Untersuchungshaft wird von den Gerichten auf eine mögliche Haftstrafe angerechnet. Werden Angeklagte vom Gericht freigesprochen, muss der Staat für die während der Untersuchungshaft entstandenen finanziellen Einbußen und den immateriellen Schaden Entschädigung leisten.
- VERWEIGERUNG EINES FAIREN ÖFFENTLICHEN VERFAHRENS
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, und der Staat achtete die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz im Allgemeinen.
Verfahrensbestimmungen
Die Verfassung schreibt das Recht auf ein faires, öffentliches Verfahren vor, und die unabhängige Justiz setzte dieses Recht im Allgemeinen durch.
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht, umgehend und detailliert über die gegen sie vorliegenden Anschuldigungen informiert zu werden. Das Verfahren soll fair, öffentlich und ohne unangemessene Verzögerung stattfinden. Laut Gesetz sind Angeklagte verpflichtet, bei ihrer Verhandlung anwesend zu sein. Angeklagte haben das Recht, sich von einem Anwalt ihrer Wahl vertreten zu lassen, und der Staat stellt, wie oben erwähnt, einen Rechtsbeistand auf Staatskosten, wenn die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen können. Angeklagte und ihre Anwälte haben das Recht auf einen angemessenen Zeitraum und angemessene Räumlichkeiten zur Vorbereitung ihrer Verteidigung. Jedem Angeklagten, der kein Deutsch spricht oder versteht, wird ein Dolmetscher oder eine Dolmetscherin gestellt. Sofern die Angeklagten ihre finanzielle Bedürftigkeit nachweisen oder freigesprochen werden, geschieht dies auf Staatskosten. Angeklagte haben Zugang zu allen Beweisen, die dem Gericht vorliegen und für ihren Fall relevant sind. Angeklagte dürfen die Zeugen der Anklage befragen und zu ihrer Verteidigung eigene Zeugen und Beweise anführen. Angeklagte dürfen nicht zur Aussage oder zu einem Geständnis gezwungen werden. Angeklagte haben das Recht, Berufung einzulegen.
Laut Gesetz dürfen Gerichte niemanden zweimal für dieselbe Straftat verurteilen. Gerichte können jedoch bei wegen Vergewaltigung, Mord oder Totschlags Verurteilten nach Verbüßen der Strafe zusätzlich eine „anschließende Sicherungsverwahrung“ anordnen. Das Gericht kann Sicherungsverwahrung nur dann anordnen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Täter oder die Täterin an einer psychischen Störung leidet oder eine dauerhafte, ernsthafte Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellt.
Die Sicherungsverwahrung kann laut Gesetz unbefristet angeordnet werden, unterliegt aber der regelmäßigen Überprüfung.
Da die Sicherungsverwahrung rechtlich nicht als Strafe gilt, müssen die Behörden Sicherungsverwahrte in separaten Gebäuden oder in speziellen Bereichen der Justizvollzugsanstalten mit besseren Bedingungen unterbringen. Die Behörden müssen den Inhaftierten außerdem sozial- und
psychotherapeutische Angebote machen. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes befanden sich Ende März 2020, im letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, 589 Personen in Sicherungsverwahrung.
Politische Gefangene und Inhaftierte
Es gab keine Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte.
Zivilverfahren und Rechtsbehelfe
Bei Verletzung ihrer Grundrechte können die Bürgerinnen und Bürger bei Petitionsausschüssen und Bürgerbeauftragten Beschwerde einreichen. Diese Kontaktstellen werden meist als „Ombudsstellen“ bezeichnet. In zivilrechtlichen Angelegenheiten bietet eine unabhängige und unparteiische Justiz zudem Zugang zu Gerichten, um in Fällen von Menschenrechtsverletzungen auf Schadenersatz oder Unterlassung zu klagen. Wenn die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit, bei mutmaßlichen Verstößen des Staates gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu klagen.
Beschlagnahmung und Rückgabe von Eigentum
Der Staat verfügt über Gesetze und Mechanismen zur Wiedergutmachung, die auch für ausländische Staatsangehörige gelten, und Nichtregierungsorganisationen sowie Interessengruppen berichteten, dass bei der Bearbeitung von Ansprüchen aus der Zeit des Holocaust maßgebliche Fortschritte gemacht wurden. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende 2020 zahlte die Bundesrepublik Deutschland dem Bundesfinanzministerium zufolge rund 79 Milliarden Euro an Rückerstattungen und Entschädigungen an NS-Opfer, einschließlich Härtefallzahlungen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro für ärmere Holocaust-Überlebende, die 2020 besonders schwer von der Corona-Pandemie betroffen waren.
Außerdem unterstützte das Land zahlreiche öffentliche und private internationale Initiativen für Reparationen und Sozialleistungen zugunsten Holocaust-Überlebender und ihrer Familien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete der Bundestag Gesetze zur Regelung von Ansprüchen aufgrund von NS-Gräueltaten und Enteignungen aus der Zeit des Holocaust. 1952 bestimmte die Bundesregierung die Conference on Jewish Material Claims against Germany (auch: Claims Conference) zu ihrem Hauptpartner für die Regelung von Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüchen von jüdischen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung.
Bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden die Rückgabe von Eigentum und die Entschädigungszahlungen für Immobilien und Unternehmen, die während des Holocausts beschlagnahmt oder übertragen worden waren, von den westdeutschen Behörden im Einklang mit dem Bundesentschädigungsgesetz geregelt. Die Claims Conference übernahm die Rechte an Eigentum, für das es keine Erben gab, und versteigerte dieses. Die Erlöse kamen der Finanzierung von Maßnahmen der Organisation zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden und zur Aufklärung über den Holocaust zugute. Weitere Entschädigungsansprüche für konfisziertes jüdisches Eigentum im ehemaligen Ostdeutschland machte die Claims Conference nach einem Gesetz geltend, das nach der Wiedervereinigung verabschiedet wurde. Seit 1990 haben die Behörden in 4.500 Fällen Restitutionsansprüche anerkannt und bewilligt und in etwa 12.000 Fällen Entschädigungen gezahlt. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen waren etwa 5.000 Fälle noch offen, bei denen es um Sachanlagen ging, darunter Grundstücke, Immobilien und Unternehmensanteile.
Durch regelmäßige Verhandlungen zwischen der Claims Conference und der Bundesregierung wurden bestehende Programme erweitert und zusätzliche eingeführt. Bei den Verhandlungen im September 2020 sagte die Bundesregierung zu, die Gesamtfinanzierung für das Jahr für häusliche Pflegedienste für gebrechliche und alternde Holocaust-Überlebende um 30,5 Millionen Euro zu erhöhen. Im Oktober stimmte die Bundesregierung der Gewährung einer monatlichen Rente in Höhe von 375 Euro für etwa 6.500 Holocaust-Überlebende, die bisher keine Rente erhielten, sowie symbolischen
Einmalzahlungen in Höhe von 2.500 Euro an 1928 oder später geborene Opfer zu, die den Holocaust als Kinder überlebt haben. Darüber hinaus war für NS-Opfer, die bereits eine Einmalzahlung aus dem Härtefallfonds erhalten haben, im Laufe des Jahres je eine weitere Zahlung von 1.200 Euro vorgesehen.
2015 gründete die Bundesregierung zur Erforschung der Provenienz von Kunst- und Kulturgütern die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK). Die DZK unterhält die Online-Datenbank „Lost Art“ und unterstützt Opfer und ihre Erben bei der Suche nach den richtigen Institutionen und Kontakten. In der Datenbank werden Kulturgüter erfasst, die vermutlich oder nachweislich von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. Im Mai kündigte die DZK an, 31 Projekte zur Erforschung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut mit 2,8 Millionen Dollar zu fördern.