Präsident Joe Biden und seine fast chancenlose legislative Agenda
Von Andrew C. Adair
Wenn Joe Biden am 20. Januar 2021 der 46. US-Präsident wird, kann er zu Recht auf ein Mandat für einen Wechsel verweisen: Er hat nicht nur einen amtierenden Präsidenten abgesetzt, sondern dies mit über 80 Millionen Stimmen getan – mehr als jeder andere Präsidentschaftskandidat in der amerika-nischen Geschichte. Er kandidierte und gewann mit einem mutigen Programm: effektives Pandemiemanagement, wirt-schaftliche Rettung sowie einem massiven Infrastruktur- und Beschäftigungsplan, einschließlich In-vestitionen in erneuerbare Energie in Höhe von zwei Billionen Dollar. Er schlägt vor, das Gesundheitswesen auszu-bauen, das Steuergesetz zu reformieren, den Mindestlohn zu erhöhen, ganz zu schweigen von der Reform der amerikanischen Polizei, der Strafjustiz, der Wahlen und vielem mehr. Er hat auch versprochen, für alle Amerikaner zu regieren – auch für diejenigen, die gegen ihn gestimmt haben. Doch trotz dieser historischen Umstände wird es für ihn fast unmöglich sein, diese Agenda durch den Kongress zu bringen.
Der legendäre US-Abgeordnete Henry Waxman sagte einmal, die amerikanische Gesetzgebung müsse überparteilich sein, um erfolgreich zu sein.
in: Business & Diplomacy, Berlin,
Ausgabe Winter 2020
Dies spiegelt die Struktur des amerikanischen Systems wider: In einem Zwei-parteiensystem ist eine Partei immer in der Opposition. Dennoch muss die Oppositionspartei auch zum Regieren beitragen. Die Regeln des US-Senats sehen vor, dass bei fast allen Gesetzen 60 von 100 Senatoren zustimmen müssen, und es ist fast nie der Fall, dass eine Partei 60 Stimmen hat. Damit eine Gesetzesvorlage den Schreibtisch des Präsidenten erreicht, müssen also zumindest einige Mitglieder der Oppositionspartei mit der Regie-rungspartei zusammenarbeiten.
Aus diesem Grund wird der Mehrheitsführer der republikanischen Senatsfraktion Mitch McConnell (Kentucky) im Jahr 2021 weiterhin ein Mitspracherecht bei allen Gesetz-entwürfen haben – selbst wenn die Demokraten durch die Stichwahlen in Georgia die Kontrolle über den Senat zurückerlangen. In diesem Fall würden die Demokraten die Tagesordnung im Senat kontrollieren, aber zehn republikanische Senatoren müssten den Demokraten zustimmen, um einen Großteil von Bidens Gesetzgebungs-agenda mit 60 Stimmen zu verabschieden – fast undenkbar angesichts der Vorteile für die Opposition im heutigen hyperparteiischen politischen Umfeld.
Prognose durch Rückblick
Ein Rückblick auf die zweite Amtszeit Barack Obamas vor acht Jahren erlaubt Prognosen, wie das Jahr 2021 aussehen könnte.
Im Januar 2013 glaubten viele, dass Obama Schwierigkeiten haben könnte, einige der ehrgeizigeren Teile seiner Agenda umzusetzen, dass er aber insbesondere mit zwei Punkten gute Chancen habe: der Reform der Einwanderungspolitik und der Gesetzgebung zum Waffenrecht. Damals wie heute galten beide als chronische ungelöste amerikanische Probleme. In einem Kongress, der sich auf die Haushaltskonsolidierung konzentrierte, würde keines von beiden größere fiskalische Auswirkungen haben. Und die “Flitterwochen”-Periode kurz nach der Amtseinführung wäre der ideale Zeitpunkt, beide Punkte durch den Kongress zu bringen.
Was die Einwanderung betrifft, so verabschiedete der Senat ein wichtiges Gesetz, das letztlich im republikanischen Repräsentantenhaus scheiterte. Die Republikaner im Repräsentantenhaus – welche die einwanderungsfeindliche Stimmung vertraten, die Donald Trumps Kampagne 2016 bestimmen würde – weigerten sich, illegalen Einwanderern Schutz zu gewähren, obwohl der Gesetzentwurf auch massive Verbesserungen der von ihnen geforderten Grenzsicherheit enthielt.
Was die Waffengesetze betrifft, so versäumte es der Senat, universelle Zuverlässigkeitsüberprüfungen für den Waffenkauf einzuführen – eine kleine Reform, die viele Amerikaner befürworten.
Dieses Versäumnis war besonders überraschend, nachdem eine Schießerei an einer Schule in Connecticut im Dezember 2012 die Nation schockierte und die Rufe nach einer Reform ver-stärkt hatte. In beiden Fällen stimmten fast alle Demokraten für die Initiativen, während die meisten Republikaner sie ab-lehnten. Die Republikaner zahlten jedoch keinen Preis für diese Opposition an der Wahlurne und gewannen 2014 den Senat und 2016 das Weiße Haus zurück.
In der Zwischenzeit verlangsamten diese Niederlagen im Jahr 2013 den Schwung, den Obama brauchte, um bis zum Ende seiner Präsidentschaft weitere wichtige Reformen durchzusetzen. Tatsächlich begann Obama vor allem im Umfeld des Kongresses zu arbeiten und nutzte die exekutive Autorität des Präsidenten, um junge Menschen vor der Abschiebung zu schützen, dem Pariser Klimaabkommen beizutreten und das iranische Atomabkommen zu vollenden. Da der Kongress diese Errungenschaften jedoch nie ratifiziert hatte, konnte Präsident Do-nald Trump sie 2017 leicht wieder rückgängig machen.
Macht des Kongresses geschrumpft
Im Jahr 2021 ist zu erwarten, dass Präsident Biden viele dieser Politiken der Obama-Ära wieder aufnehmen wird. Ob-wohl die Wiederbelebung des Iran-Abkommens mühsam und kompliziert sein wird, kann Biden die von Trump erlassenen Durchführungsbestimmungen zu Paris, zur Einwanderung und vielem anderen leicht aufheben. Diese neue Art und Weise, Politik in erster Linie über die Exekutive zu machen, macht einen Großteil der amerikanischen Politik instabil und abhängig von den nächsten Wahlen. Die Tatsache, dass viele Demokraten Biden bereits dazu drängen, seine Exekutivgewalt zu maximieren, spiegelt diese „New Normal“ in der amerikanischen Politik wider – in der die Bedeutung des Kongresses weiter schrumpft.
Selbst größere Gesetzesinitiativen stehen heute auf wackeligem Boden
Entgegen Henry Waxmans Maxime hat der Kongress die beiden größten innenpolitischen Reformen des 21. Jahrhunderts auf rein parteiischer Basis beschlossen. Nicht ein Republikaner stimmte für den „Affordable Care Act“ (das Obama-Gesundheitsgesetz); und nicht ein Demokrat stimmte für den „Tax Cuts and Jobs Act“ (die Trump-Steuerreform).
In beiden Fällen wandte der Senat ein obskures Verfahren an, das als Budgetausgleich bekannt ist und in dessen Rahmen er bestimmte Arten von Gesetzen mit 51 statt 60 Stimmen verabschieden kann.
Dank ihrer parteiischen Herkunft werden diese beiden Gesetze von der Opposition weiterhin als unrechtmäßig behandelt, obwohl der Kongress beide Gesetze gemäß der US-Verfassung und den Regeln von Repräsentantenhaus und Senat ordnungs-gemäß verabschiedet hat. Die Demokraten haben der Trump-Steuerreform den Spitznamen „GOP-Steuerbetrug“ gegeben.
Im Fall von Obamacare fechten die Republikaner das Gesetz zehn Jahre nach seiner Verabschiedung weiterhin vor Gericht an. Im Rahmen der jüngsten Anfechtung könnte der Oberste US-Gerichtshof im Jahr 2021 sogar wichtige Elemente des Gesetzes für ungültig erklären und verlangen, dass der Kongress nachbessert, damit das Gesundheitssystem während einer globalen Pandemie nicht plötzlich destabilisiert wird. Der Mangel an parteiübergreifender Unterstützung degradiert diese neuen Gesetzgebungsvorhaben, da sie lediglich zu Zielscheiben für den jeweiligen nächsten Wahlkampf der Opposition werden und ihre Legitimität fortwährend hinterfragt wird.
Schwierige Kompromisse
Manche prophezeien jetzt, dass Biden und McConnell – die als langjährige Senatskollegen hohen gegenseitigen Respekt haben – erfolgreich parteiübergreifende innenpolitische Vereinbarungen aushandeln könnten. Obwohl die Hoffnung auch hier zuletzt stirbt, bleibe ich skeptisch. Immerhin war Biden 2013 Vizepräsident und diente als Obamas Unterhändler im Senat, und Mitch McConnell war auch damals der republikanische Fraktionsführer. Wenn überhaupt, dann wird es nächstes Jahr schwieriger werden, Kompromisse auszuhandeln, da Donald Trump 2024 eine weitere Kandidatur in Aussicht stellt und das einflussreichste Mitglied der republikanischen Partei bleibt. Bidens Programm ist eine gut entwickelte progressive Agenda, die den Konservativen, die sich auf die Zwischenwahlen 2022 vorbereiten werden, wenig zu begeistern vermag. Gleichzeitig wird die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi (Demokraten, Kalifornien), über eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus verfügen, was einflussreichen Abgeordneten wie Alexandria Ocasio-Cortez (Demokraten, New York) mehr Macht verleiht, die mit einer Gruppe von nur fünf bis sechs anderen Abgeordneten Gesetze blockieren können, die sie als „zu moderat“ ansehen.
Vielleicht können wir am meisten darauf hoffen, dass die Beziehung zwischen Biden und McConnell dazu beitragen wird, die Regierungsführung reibungslos zu ermöglichen, Gouvernment-Shutdowns zu verhindern, die Emotionen aus der Trump-Ära wieder einzufangen und auf dem Weg dahin einige kleinere politische Verbesserungen zu bewirken. Eine US-Regierung, die unter dem Motto „Make America Boring Again“ arbeitet, könnte allemal dazu ausreichen, um eine Mehrheit der Amerikaner zufrieden zu stellen.
Andrew C. Aidair
ist ein amerikanischer Anwalt, Publizist und politischer Experte. Sein Unternehmen DC / Berlin Consulting mit Sitz in Washington und Berlin berät deutsche Organisationen bei der Entwicklung und Verbesserung ihrer Beziehungen zu Entscheidungsträgern in Washington. Adair verlegt zudem den zweisprachigen Newsletter „Die Woche in Washington“. Bevor er 2019 DC / Berlin Consulting gründete, verbrachte Adair 15 Jahre in Washington und war dort u.a. als Berater eines leitenden Abgeordneten im Kongress tätig.