Wir brauchen einander – Bundesvizekanzler a.D. Sigmar Gabriel

"Wir brauchen einander" - Bundesvizekanzler a.D. Sigmar Gabriel, neuer Vorsitzender der Atlantik-Brücke, über die deutsch- amerikanischen Beziehungen gestern und heute.

Skyline von Kansas City, größte Stadt im US Bundesstaaat Missouri

Landschaft in Wyoming

New York Wallstreet

"Wir brauchen einander"

Sigmar Gabriel

"Wir brauchen einander"

Bundesvizekanzler a.D. Sigmar Gabriel, neuer Vorsitzender der Atlantik-Brücke, über die deutsch- amerikanischen Beziehungen gestern und heute, gemeinsame Werte und neue Herausforderungen. in: BUSINESS & DIPLOMACY  01/2020

HERR GABRIEL, IN IHRER ANTRITTSREDE ALS VORSITZENDER DER ATLANTIK-BRÜCKE IM VORIGEN JAHR HABEN SIE GESAGT: „DAS VERHÄLTNIS ZU DEN USA IST NICHT BESSER ODER SCHLECHTER ALS WIR ES SEIT DEN 50ER JAHREN GEWOHNT WAREN, SONDERN  SCHLICHT  ANDERS.”  WAS HAT SICH GEÄNDERT?

Unsere Beziehung zu Amerika war für viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie vom großen Systemkonflikt zwischen West und Ost geprägt. Der Kalte Krieg ist lange vorbei. Heute sehen sowohl wir uns als auch die USA sich mit einer anderen Weltlage konfrontiert, die neue Möglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen bereithält. Europa ist ein wichtigerer Akteur auf der Weltbühne geworden. Wir haben viel zu bieten, müssen aber gleichzeitig auch mehr Verantwortung tragen. Das gilt unter anderem mit Blick auf die Verteidigung. Die USA drängen nicht erst seit Präsident Trump darauf, dass Europa und insbesondere Deutschland seinen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung in der NATO erhöht. Eine weitere einschneidende Entwicklung, die auch das europäisch-amerikanische Verhältnis prägt, ist der Aufstieg Chinas, das mit seiner wirtschaftlichen und zunehmend auch militärischen Größe zu einem entscheidenden Be- zugspunkt für die USA geworden ist. Und schließlich hat auch das innenpolitische Klima in den USA Einfluss auf das transatlantische Verhältnis. Ganze Regionen fühlen sich abgehängt und haben dem politischen Establishment eine Absage erteilt. Die Konsequenz daraus ist, dass Amerika sich stärker mit sich selbst beschäftigt. Im Klartext: Die USA werden nicht mehr die Kartoffeln für uns aus dem Feuer holen. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Und gleichzeitig daran arbeiten, ein neues, gutes Verhältnis zu den USA zu pflegen. Denn eins ist klar: Wir brauchen einander, um die Welt gemeinsam gestalten zu können.

WORIN SEHEN SIE AUFGABE UND ZIEL DER ATLANTIK-BRÜCKE?

Ziel der Atlantik-Brücke ist es, das Verhältnis zwischen Deutschland, Eu- ropa und den Vereinigten Staaten zu vertiefen und zu verbessern. Das war bei der Gründung des Vereins 1952 das Ziel und das ist es, unter veränderten Vorzeichen, auch heute. In erster Linie gelingt das durch den offenen Dialog mit den Vereinigten Staaten.Wir suchen das Gespräch mit der Administration und scheuen auch Kontroversen nicht. Außenpolitische Experten beider Parteien und etablierte Unternehmenslenker sind wichtige Partner für uns. Wir wollen uns aber, und das ist mir besonders wichtig, auch öffnen und viel stärker das Gespräch mit dem „neuen Amerika“ suchen, jungen Amerikanerinnen und Amerikanern, denjenigen, die keine europäischen Wurzeln haben, mit jungen Hispanics, schwarzen und asiatisch-stämmigen Amerikanern, die nicht die klassischen Transatlantiker sind, aber die USA von Morgen gestalten werden.

WAS SIND DIE WICHTIGSTEN AKTIVITEN DES VEREINS?

Das Young Leaders-Programm, mit dem wir junge deutsche und amerikanische Führungskräfte zusam- menbringen, ist sicherlich eins der wichtigsten Programme der Atlantik-Brücke. Es ist ein Beweis dafür, dass die transatlantischen Beziehungen nicht nur vom fachlichen Austausch leben, sondern auch von der persönlichen Begegnung. Die Freundschaften, die auf diesen Konferenzen geschlossen werden, halten oft ein Leben lang.

Bei der Deutsch-Amerikanische Konferenz, die wir mit unserer amerikanischen Schwesterorganisation, dem American Council on Germany ausrichten, sind immer hochrangige Redner bis zur amerikanischen Kabinettsebene zu Gast.

Ein weiteres Programm, mit dem wir eine große Wirkung erzielen, ist die transatlantische Studienreise für Lehrer. Während der Schulferien fahren amerikanische Lehrer für eine Woche nach Deutschland und deutsche Lehrer aus den neuen Bundesländern in die USA. Dort lernen sie das Land kennen, hospitieren im Unterricht, tauschen sich mit Kollegen aus und führen politische Gespräche. Wenn sie dann nach Hause kommen, können sie ihren Schülern einen viel tieferen Eindruck vom anderen Land vermitteln.

WIE STEHT ES AUS IHRER SICHT UM DIE TRANSATLANTISCHE WERTEGEMEINSCHAFT?

Wir teilen mit den USA ein Wertefundament. Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat bestimmen das Zusammenleben in unseren Ländern. Diese Gemeinsamkeit unterscheidet unser Verhältnis zu den USA grundlegend von unserem Verhältnis zu nicht-demokratischen Staaten wie China. Doch bei aller Einigkeit über gemeinsame Werte: Wir müssen uns auch darüber verständigen, welche Schlüsse wir für unsere Politik aus diesen Werten ziehen, mit welchen Mitteln wir sie verteidigen, und wo unsere Interessen vielleicht auch voneinander abweichen.

       TEILEN SIE DIE EINSCHÄTZUNG, DASS VIELE DEUTSCHE HEUTE DISTANZIERTER AUF DIE USA SCHAUEN ALS NOCH VOR EINIGEN JAHREN?

Wir Deutsche haben ein schwieriges Verhältnis zu den USA, und das nicht erst seit gestern.Vom ostdeutschen „Yankee go home“ nach dem Zweiten Weltkrieg, den            Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss in den 80er Jahren in Westdeutschland bis zum Widerstand gegen den Irak-Krieg unter George W. Bush Anfang der 2000er         Jahre: Neben der Kritik an einer bestimmten Politik, über die man ja streiten kann, wurde häufig das ganze Land mit all seinen Bürgern angefeindet. Und gleichzeitig haben wir uns immer darauf verlassen, dass die USA uns im Ernstfall verteidigen.

    WAS KÖNNTE GEGEN DIESEN DISTANZIERTEN BLICK AUF DIE USA GETAN WERDEN?

 Das Wichtigste ist, zu vermitteln, dass man eine politische Auseinandersetzung oder auch einen Streit miteinander führen kann, ohne gleich das Tischtuch zu zerschneiden.   Außerdem kann man gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass die USA ein unglaublich lebendiges, vielseitiges und vielstimmiges Land sind. Es lohnt sich, diese Vielfalt   kennenzulernen.

SIE SIND OFT IN AMERIKA UNTERWEGS. MIT WEL- CHEN AUGEN BLICKEN IHRE GESPRÄCHSPART- NER DORT AUF EUROPA UND DEUTSCHLAND?

Viele Gesprächspartner aus dem politischen Amerika bedauern, dass die offiziellen Beziehungen derzeit so angespannt sind. Für sie sind Deutschland und Europa wichtige Alliierte – auch wenn sie beispielsweise den Verteidigungsbeitrag der Deutschen kritisch sehen. Die meisten Amerikaner, denen ich begegne, haben ein positives Deutschlandbild. Viele haben familiäre Beziehungen nach Deutschland oder sie und ihre Angehörigen waren einmal als GIs dort stationiert. Wir müssen uns darum kümmern, dass dieser positive Bezug auf uns auch angesichts des demographischen Wandels in den USA erhalten bleibt.

MANCHMAL SCHEINT ES, DASS DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN EINIGEN MITTELOSTEUROPÄISCHEN LÄN- DERN, ETWA POLEN, UND DEN USA ENGER SIND ALS DIE ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DIE USA. WORAN LIEGT DAS?

Unsere östlichen Nachbarn sind derzeit verunsichert, ob sie von uns im Fall russischer Aggression Unterstützung bekommen. Die USA haben sich sehr viel verbindlicher gezeigt, darum wird ihnen auch mehr Vertrauen entgegengebracht. Wir müssen diese Verunsicherung mit deutlicher und tatkräftiger Unterstützung ausräumen, um den Zusammenhalt in der Europäischen Union zu stärken. Europa kann nicht funktionieren, wenn es keine Solidarität untereinander gibt.

WIE BEURTEILEN SIE DIE DEUTSCH- AMERIKANISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN IM ZEITALTER VON “AMERICA FIRST”?

Präsident Trump hat sich in Handelsfragen gegenüber Europa äußerst konfrontativ gezeigt. Dabei müsste auch ihm klar sein, dass ein Handelskrieg für beide Seiten ein großer Schaden wäre. Wir sind füreinander wichtige Handelspartner. Nichtsdestotrotz müssen uns mit der amerikanischen Kritik an unserem Leistungsbilanzüberschuss ausein- andersetzen. Nicht, um Amerika einen Gefallen zu tun oder unserer Wirtschaft Schaden zuzufügen. Es liegt in unserem eigenen Interesse, die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft zu verrin- gern und für nachhaltiges Binnenwachstum zu sorgen. Die Amerikaner ihrerseits müssen erkennen, dass ihre Stärke auch daran hängt, Freunde und Alliierte in der ganzen Welt zu haben, und dass Härte gegen die eigenen Partner einem auch selbst Schaden zufügen kann.

WELCHE THEMEN WERDEN DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHL IN  DEN USA BESTIMMEN? WER WIRD DAS RENNEN  MACHEN?

Viele innenpolitische Themen werden den Wahlkampf bestimmen: Krankenversicherung, Verteilungsgerechtigkeit, Waffengesetze. Die Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft wird ein wichtiges Thema sein. Außenpolitik spielt in erster Linie in Bezug auf Amerikas Kriege eine Rolle, die Beziehungen zu Europa sind für den Wahlkampf kein wichtiges Thema.Wer die Wahl am Ende gewinnt, entscheiden die Amerikanerinnen und Amerikaner. Da will ich keine Prognosen  anstellen.-

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