US-Wahl 2020 Acht Lehren aus der Präsidentschaftswahl

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US-Wahl - Acht Lehren aus der Präsidentschaftswahl – und was sie für Joe Biden bedeuten

Joe Biden war der richtige Kandidat und Donald Trump kein Ausrutscher der Geschichte. Was die Wahl über die US-Politik im Jahr 2020 aussagt.

Alexander Demling

Thomas Jahn

07.11.2020 – 09:51 Uhr

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Vor dem Wahlsieg

US-Wahl 2020 – Sie werden der USA wohl bald voranstehen: Joe Biden und die wahrscheinliche Vize-Präsidentin Kamala Harris.

(Foto: AFP)

Düsseldorf, San Francisco Joe Biden steht kurz davor, die Präsidentschaftswahl 2020 zu gewinnen. Allerdings ist der von den Demokraten herbeigesehnte Erdrutschsieg nach aktuellem Stand ausgeblieben. Trump konnte seinen politischen Rückhalt in der Bevölkerung sogar ausbauen. Er konnte bislang rund 70 Millionen Stimmen für sich verbuchen. Bei der Wahl 2016 kam er nur auf 63 Millionen.

Trump war kein Ausrutscher der Geschichte…

Trump hat Unterstützer in Teilen der Bevölkerung, die nicht zum Zerrbild des erzreligiösen Waffennarren mit Pickup-Truck und „Make America Great Again“-Mütze gehören. Bei weißen Wählern ohne Hochschulabschluss schnitt Trump sogar etwas schlechter ab als vor vier Jahren.

Menschen in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Dollar stimmten zu 54 Prozent für Trump, sieben Prozentpunkte mehr als 2016. „Das ist der größte demographische Wandel, der zu erkennen ist“, sagt Charles Stewart, Direktor von MIT Election Data and Science Lab.

Der Grund ist laut Stewart: Die Steuersenkungen und der Abbau von Regulierung in der Wirtschaft. „Wir reden viel über Kulturkampf und solche Sachen, aber es sieht so aus, als ob die große Sache der Geldbeutel war“, sagt Stewart.

…aber ein historisch schwacher Kandidat

Doch Trump ist auch nicht der politische Magier, für den ihn viele seit 2016 gehalten haben. Er hat eine glühende Anhängerschaft, doch konnte außerhalb davon nie ausreichend Wähler von sich überzeugen.

Nur vier Amtsinhaber wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt abgewählt. Dass ein Kandidat seine Partei nach acht Jahren Opposition ins Weiße Haus führt und die Wähler nach vier Jahren bereits die Nase voll haben, ist in 120 Jahren sogar nur einem passiert: dem Demokraten Jimmy Carter.

Trump ist ein historisch unbeliebter Präsident, der an keinem Tag im Amt auch nur die Hälfte der Bevölkerung hinter sich hatte. Vielleicht hätte ein Urnengang ohne die Corona- und die daraus folgende Wirtschaftskrise seine Chancen auf eine Wiederwahl erhöht. Dass die Pandemie ihm schadete, lag aber nicht an der Krise per se, sondern an seinem schlechten Management: Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern feierte inmitten der Krise einen überzeugenden Wahlsieg.

Für radikale Reformen gibt es keine Mehrheit…

Als Umfragen die Demokraten von einem Erdrutschsieg träumen ließen, wuchs auch die Liste an Reformen, die nun endlich möglich wären: Eine staatliche Krankenversicherung für jeden Amerikaner. Ein „Green New Deal“ mit gewaltigen Investitionen gegen den Klimawandel. Dazu institutionelle Revolutionen wie die Abschaffung der Filibuster-Blockade im Senat und die Ernennung zusätzlicher Richter im Obersten Gerichtshof.

Die dazu nötige Senatsmehrheit werden die Demokraten vermutlich verfehlen. Selbst wenn sie bei den Stichwahlen um die beiden Sitze Georgias am 5. Januar 2021 noch auf ein Patt kommen, gibt es genügend Senatoren auf ihrer Seite, die einschneidenden Reformen skeptisch gegenüberstehen.

…für pragmatische Politik aber durchaus

Donald Trumps Sieg in Florida war die erste Überraschung des Wahlabends. Mit mehr als 51 Prozent gewann der Republikaner den ewigen Swing State im Südosten der USA.

Deutlich mehr Wähler in Florida, mehr als 60 Prozent, stimmten für eine Änderung der Verfassung Floridas, die bis 2026 eine schrittweise Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar vorschreibt – fast eine Verdopplung zum Status Quo und genau der Betrag, den Joe Biden als landesweiten Mindestlohn fordert.

Ein Teil der Wähler stimmt für Trump, aber gleichzeitig gegen republikanische Orthodoxie. Auch die Latinos kubanischer und venezolanischer Herkunft, bei denen die Anti-Sozialismus-Botschaft der GOP (Grand Old Party: die Republikaner) verfängt, sind nicht automatisch gegen eine Politik der kleinen Schritte.

Die Republikaner haben ein strategisches Problem…

Weder Trumps Amtsbonus noch die Versuche, die Anerkennung von Stimmen durch Klagen einzuschränken, haben die Republikaner gerettet. Bei sieben der letzten acht Wahlen haben sie weniger Stimmen als die Demokraten bekommen.

Der Trend dürfte sich noch verstärken: Ihre Kernwählerschaft, weiße religiöse Konservative, wächst langsamer als die Gruppen, die mehrheitlich Demokraten wählen: Latinos und Großstädter.

Donald Trump

Historischer Stimmenzuwachs – doch er dürfte voraussichtlich nicht reichen.

(Foto: Bloomberg)

Verlässliche Republikaner-Hochburgen verfärben sich seit Jahren von Tiefrot zu Lila. Texas hat die GOP diesmal noch verteidigt, Arizona und Georgia sind dagegen gekippt. Die Republikaner müssen in Zukunft um immer mehr Staaten kämpfen, um eine Chance auf 270 Wahlleute zu haben.

… aber auch eine Chance

Gleichzeitig hat die Wahl gezeigt, dass Latinos keine uniforme Gruppe sind, auf die die Demokraten bauen können. Trump haben seine öffentlichen Flirts mit weißen Extremisten wie den „Proud Boys“, die Trennung von Flüchtlingskindern von ihren Familien und seine Tiraden gegen Einwanderer nicht geschadet – im Gegenteil: Trump hat bei nicht-weißen Wählergruppen ein besseres Ergebnis als viele seiner Vorgänger eingefahren.

Drei von zehn Latino-Wähler stimmten in diesem Jahr für Trump. Mehr als 2016, mehr als Mitt Romney 2012 bei Wählern mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund holte. Sowohl Florida als auch Texas konnte der Präsident nicht zuletzt durch seinen Rückhalt bei Latinos gewinnen.

Die Republikaner müssen keine völlig andere Politik machen, um eine ausreichende Minderheit von Latinos in ihre Wählerkoalition zu bringen. Dann arbeiten die demografischen Trends sogar zu ihren Gunsten: Staaten wie Texas und Florida erhalten nach der diesjährigen Volkszählung je eine zusätzliche Wahlperson, während demokratische Festungen wie New York oder Rhode Island eine verlieren.

Biden war der richtige Kandidat…

Als der ehemalige Vizepräsident Joe Biden im Frühjahr eine Vorwahl nach der anderen gegen seinen linken Kontrahenten Bernie Sanders gewann, stöhnten manche Strategen der Partei.

Machten die Demokraten den gleichen Fehler wie 2016? Mit der vernünftig scheinenden Wahl statt der, die die Parteibasis begeistert, hatten die Demokraten vier Jahren vorher bereits verloren.

Generäle, die versuchen, die letzte Schlacht zu gewinnen, verlieren die nächste. In diese Falle tappten die Demokraten nicht. Als erfahrener Politiker und personifiziertes Establishment wirkte Biden im Krisenjahr 2020 wie die Antithese zu Trumps aggressiv-sprunghaftem Stil. Selbst mit wohlklingenden Politiker-Plattitüden wirkte Biden neben Trump wie die letzte Bastion von Anstand und demokratischer Ordnung.

… aber ist er es auch in der Zukunft?

Das Feindbild Trump wird bei den kommenden Wahlen verblassen oder ganz verschwinden – der bisherige Präsident wird weiter das Rampenlicht suchen, aber sich kaum als Anführer der GOP in die Parteidisziplin einbinden lassen.

Gleichzeitig haben die Demokraten mit Biden an der Spitze kein starkes Mandat bekommen: Im Repräsentantenhaus haben sie ihre Mehrheit eher knapp verteidigt, im Senat wider Erwarten keine gewonnen. Und den Obersten Gerichtshof haben die Republikaner mit der Ernennung von Amy Coney Barrett kurz vor der Wahl für eine konservative Mehrheit gesorgt, die eine Generation lang halten könnte.

Biden bleibt deswegen nur der Versuch, Kompromisse mit den Republikanern zu schließen und mit der Bekämpfung von Corona-Pandemie und Wirtschaftskrise zu punkten. Die Parteibasis wird das kaum begeistern.

Ohne deren Enthusiasmus drohen in zwei Jahren aber schwierige Midterm-Wahlen – bei denen verliert die Partei des Präsidenten in aller Regel. Wenn in vier Jahren dann seine Wiederwahl ansteht, ist Biden 81 Jahre alt.

Der President-Elect muss ein Thema für seine Präsidentschaft finden, das trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse erreichbar ist und seine Wählerkoalition aus diesem Jahr energetisiert. Nicht Donald Trump zu sein, wird dann nicht mehr reichen.

Was bedeutet das für die wahrscheinliche Biden-Präsidentschaft?

Donald Trump hat die Polarisierung von US-Politik und Gesellschaft auf die Spitze getrieben, doch die Trends gab es schon lange vor ihm. Es ist leicht, ein Szenario zu sehen, in dem ein Präsident Biden ohne Senatsmehrheit kaum regieren kann.

Seine demokratischen Vorgänger Bill Clinton und Barack Obama starteten mit großen Mehrheiten im US-Kongress, setzen einige Reformen durch und verloren dann bei den ersten Midterms ihre Gestaltungsmehrheit. Biden würde von Tag 1 an in dieser Situation stecken.

Die optimistische Lesart ist, dass die Republikaner nun von Anfang in der Mitverantwortung sind und einige ihrer Wähler mehr erwarten als Totalblockade. Die akuten Probleme der USA, die Verheerungen durch die Pandemie, erscheinen zu groß und zu drängend, um sofort auf nihilistische Machtpolitik umzuschalten.

Hehre Motive werden einen kühlen Taktiker wie Mitch McConnell, den republikanischen Mehrheitsführer im Senat, wahrscheinlich nicht überzeugen. Der drohende Verlust seines Amtes schon eher: Bei den Stichwahlen in Georgia könnten die Republikaner ihre Senatsmehrheit noch verlieren. Biden hat in dem Staat den anfänglichen Vorsprung von Trump wettgemacht.

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